Ein Gastartikel von Melissa Ratsch
„Los, du bist dran.“
Die Hauptfigur schaut mich mit großen Augen an. „Wie, echt jetzt?“
„Ja, los. Sag etwas.“
„Aber … muss das wirklich sein?“, jammert sie. „Kannst du das nicht irgendwie weglassen? Beschreib doch lieber noch ein bisschen das Setting.“
„Nein, das geht nicht. Du bist mein Hauptcharakter, du musst auch etwas sagen.“
„Kannst du mich nicht stumm machen? Ich bin so schüchtern.“
„O Mann“, murmle ich und massiere mir die Nasenwurzel. „Jetzt stell dich nicht so an. Glaub mir, so schlimm ist das gar nicht.“
„Okay, wenn du meinst.“ Die Hauptfigur räuspert sich und sagt …
Wer erkennt sich da wieder?
So oder so ähnlich könnte eine Diskussion zwischen Autor:in und Charakter ausfallen. Zumindest dann, wenn es darum geht, unseren Figuren eine eigene Stimme zu verleihen. Wenn wir sie Selbstgespräche oder Unterhaltungen mit anderen Charakteren führen lassen.
Ich persönlich liebe Dialoge!
Fairerweise muss ich dazusagen: mittlerweile. Denn ganz am Anfang meiner Laufbahn als Autorin habe ich mich so ähnlich gefühlt wie der Hauptcharakter oben in der Unterhaltung. Meine Dialoge haben sich sogar für mich selber sperrig angehört, sie waren seltsam gestellt und irgendwie habe ich immer versucht, sie zu vermeiden. Der Horror war, wenn sich nicht nur zwei, sondern gleich mehrere Personen in meinen Büchern unterhalten sollten. Himmel hilf, wenn sie sich sogar streiten sollten!
Aber wie macht man das – nicht nur „gute“ Dialoge schreiben, sondern dabei auch noch Spaß haben?
Ein paar Anregungen will ich dir in diesem Blogbeitrag geben.
Die Realität abbilden, ohne die Realität abzubilden
Man könnte denken „Ich nehme einfach ein Gespräch und tippe es Wort für Wort ab – erledigt!“
Das funktioniert nur leider nicht. Die wenigsten werden ein Wortlautprotokoll schon einmal gelesen haben. Spoiler: Es liest sich grauenvoll. Man würde meinen, dass niemand je so spricht – mit unzähligen „Ähs“ und „Ähms“, mit Wiederholungen oder Versprechern.
Daher sollten Autor:innen beim Schreiben von Dialogen zwar die Realität abbilden, aber dürfen sie dabei doch nicht zu genau kopieren. Gespräche sollen sich flüssig anhören, natürlich – aber da ist das echte Leben leider kein guter Ratgeber.
Dennoch ist es natürlich bei einer Unterhaltung, wenn sich die Charaktere einmal verhaspeln, das Gegenüber nicht richtig verstehen oder mehrfach nachfragen. Letzteres könnte zum Beispiel eine tolle Möglichkeit im Sinne von „show, don’t tell“ sein und den Leser:innen einen Hinweis darauf geben, dass diese Person gerade sehr erschöpft ist und deswegen nicht richtig aufpassen kann, was der:die andere sagt.
Eat that frog – Dialog einfach runterschreiben
Es ist genauso simpel umzusetzen, wie es hier steht.
Schreibe die Dialoge einfach runter, ohne Redebegleitsätze, ohne Handlung, ohne Setting. Einfach nur den schlichten Dialog zwischen zwei oder mehreren Personen. Das wird sich am Anfang vielleicht seltsam anfühlen, doch mir und vielen anderen hilft es, die Geschwindigkeit und die Natürlichkeit eines Gesprächs besser einfangen zu können.
Besonders dann, wenn es sich um einen Streit oder eine hitzige Diskussion handelt. Du kannst als Autor:in in der Emotion bleiben und wirst nicht herausgerissen, weil du zwischen den einzelnen Dialogsätzen noch überlegen musst, ob Julia gerade die Stirn runzelt oder Michael schreien oder doch lieber brummen soll.
Später, wenn der Dialog geschrieben ist, kann in aller Ruhe das Drumherum ergänzt werden.
Diese Methode eignet sich auch dann sehr gut, wenn sich viele Charaktere gleichzeitig miteinander unterhalten.
Eine Autorin, die das meiner Meinung nach hervorragend beherrscht und die in dieser Kategorie mein Vorbild ist, ist Jennifer Crusie. Sie schafft es, witzige und unterhaltsame Dialoge mehrerer Charaktere schnell und spritzig zu schreiben, ohne dabei die Leser:innen zu verwirren. Man weiß immer, wer gerade spricht, und hat trotzdem das Gefühl, als würde es hoch hergehen. Wie in einem echten Stimmengewirr.
Ich setze das mittlerweile in meinen Romanen sehr gerne um und nutze dafür genau diesen Tipp: den Dialog zuerst herunterschreiben und anschließend Szenenbild, Redebegleitsätze und Aktionen der Charaktere einfügen.
Redebegleitsätze – nicht zu viel, nicht zu wenig
Eben habe ich noch einen Tipp gegeben, die Redebegleitsätze einfach zu ignorieren. Tatsächlich braucht man nicht immer ein „sagte Peter“ oder „murmelte Susanne“.
Da jede:r Sprecher:in ohnehin eine neue, eigene Zeile bekommt, kann man bei einer Unterhaltung zwischen zwei Personen die Redebegleitsätze theoretisch auch weglassen im finalen Manuskript. Da das aber schnell langweilig wird und sich mehr wie ein Drehbuch als wie ein Roman liest, kommst du nicht ganz um sie herum. Erst recht nicht dann, wenn sich mehr als zwei Charaktere an dem Gespräch beteiligen. Du kannst jedoch auch mit einem eingeschobenen Aktionssatz den Redebegleitsatz umgehen.
Beispiel: „Ich habe dir doch gesagt, dass das so nicht funktioniert.“ Rita massiert sich die Schläfen, die zu pochen beginnen. „Warum hörst du nie auf mich?“
Dabei gilt aber auch hier: Weniger ist mehr. Die richtige Mischung und Abwechslung zwischen den Redebegleitsätzen ist wichtig. Ständig dieselben zu benutzen ist ebenso kontraproduktiv, wie unnötig viele Synonyme zu verwenden.
By the way:
Ich weiß, dass manche Autor:innen mir jetzt heftig widersprechen werden, aber „lachte“ ist kein Redebegleitsatz. Man kann Worte nicht lachen, das ist schlicht anatomisch nicht möglich. Dasselbe gilt übrigens auch für „glucksen“. Nimm lieber die Variante „sagt Mike mit einem Lachen“.
Eine eigene Stimme du ihnen geben kannst
Na, wer hätte diesen Satz sagen können?
Egal ob Star-Wars-Fan oder nicht, die meisten werden in ihrem Kopf die Stimme von Yoda gehört haben.
Auch Romanfiguren können eigene Sprachmelodien haben, können mit Akzent sprechen oder einen Dialekt haben. Auch Grammatikfehler oder Wortwiederholungen, die sonst im Buch vermieden werden sollten, sind bei Dialogen ein legitimes Stilmittel. Du kannst die Protagonist:innen stottern oder auch lispeln lassen. So wissen die Leser:innen schon an dem gesprochenen Wort, welcher der Charaktere gerade etwas sagt.
Ein gutes Beispiel liefert Kerstin Gier in ihrem Roman „Für jede Lösung ein Problem“. Dort verwechselt die Mutter der Hauptfigur Gerri immer die Namen ihrer Töchter und bastelt teilweise sehr unterhaltsame neue Namen, weswegen sie von den anderen Gesprächsteilnehmer:innen ständig korrigiert wird. Auf diese Art weiß jede:r sofort, dass hier die Mutter spricht, ohne dass die Autorin das explizit erwähnt.
Was kann man noch machen?
Neben Dialekten und Sprachfehlern aller Art könntest du multilinguale Charaktere zu Wort kommen lassen, die Fremdwörter oder spezielle Redewendungen benutzen. Oder die in der Fremdsprache fluchen. Du kannst aber auch besonders wortkarge Protagonist:innen erschaffen, die nur einsilbig antworten.
Aber auch hier: Weniger ist mehr!
Zum Beispiel tun sich selbst eingefleischte Dialektsprecher:innen schwer damit, geschriebene Dialekte zu lesen (ich lese schwäbisch viel langsamer als englisch). Daher sollten solche Stilmittel auf Nebencharaktere begrenzt werden, die auch nicht dauerhaft vorkommen. Besser den Besitzer der Stammkneipe Mundart sprechen lassen oder der Chefin einen Sprach- oder Grammatikfehler zugestehen.
Laut vorlesen (lassen)
Der wohl beste Tipp, um zu überprüfen, ob sich das Gesprochene gut anhört.
Entweder man macht es selbst, vielleicht sogar mit verstellten Stimmen, oder man lässt die Technik übernehmen. Manche Programme oder Sprachassistenten können Texte vorlesen. Diese hören sich zwar nicht sonderlich organisch an, aber vermitteln oft schon einen guten Eindruck, ob der Dialog sich stimmig anhört oder nicht.
Pope in the pool
Stehen die Dialoge, kannst du noch einen Blick auf das Setting werfen, um die Unterhaltung ein wenig interessanter zu machen.
In dem Sachbuch „Rettet die Katze!“ von Blake Snyders (eigentlich ein Ratgeber für Drehbuchautor:innen) gibt es den Abschnitt „Pope in the pool“. Es geht darum, für die Zuschauenden oder Lesenden wichtige Hintergrundinformationen so unterhaltsam zu verpacken, dass diese gar nicht erst als „Info-Dump“ wahrgenommen werden. Lass also deine Charaktere statt am Küchentisch oder im Büro mal an einem ganz anderen, spannenden Ort miteinander reden: auf dem Jahrmarkt, bei einer Demonstration oder ja … im Pool.
Üben, üben, üben
Zum Schluss der wohl schwierigste, aber auch effektivste Ratschlag: Üben, üben, üben!
Wie eingangs erwähnt, erinnere ich mich noch sehr gut – und mit leichtem Grauen – an meine ersten Dialoge. Sie lasen sich hölzern, als würden sich zwei Roboter unterhalten, und waren meilenweit entfernt von den Dialogen, die ich heute schreibe. Dafür hätte mich kein:e Leser:in gelobt.
Der Weg dorthin war geprägt von vielen Versuchen und Überarbeitungen. Jedoch bin ich mit jedem geschriebenen Dialog besser geworden.
Also los, traut euch!
Setzt euch hin, lasst eure Charaktere etwas sagen, lasst sie schreien, flüstern oder lügen. Lasst sie mit anderen Figuren eurer Romane interagieren und hört ihnen zu, was sie so zu erzählen haben.
Melissa Ratsch
Melissa Ratsch schreibt schon seit ihrer Jugend Kurzgeschichten – anfangs aus der Not heraus, da einfach nichts ihrem Geschmack entsprach und die Ideen in ihrem Kopf viel interessanter waren. Daraus ergaben sich im Laufe der Jahre zahlreiche Romane und Buchreihen, die sie seit 2017 im Selbstverlag veröffentlicht.
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Beitragsbild von Brooke Cagle von Unsplash
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